Zu Teil 1 | Zu Teil 3

Ich nehme an, dass ich keinen freien Willen habe. Ich nehme stattdessen an, dass ich ein fauler Sack bin, der alle anderen um mich herum imitiert und kopiert und den Weg des geringsten Widerstandes geht.


Nicht wenige Menschen neigen dazu zu glauben, dass die „Reichen und Mächtigen“ dort hingelangt sind, wo sie sind, weil sie intelligent wären und fleißig, die richtigen Entscheidungen treffen würden, und all diese Dinge. (Natürlich werden sie das auch gerne bestätigen.)

Dieselben Menschen neigen deshalb auch dazu zu glauben, dass sie irgendwie in eine finanzielle oder politische Nähe von diesen „Reichen und Mächtigen“ gelangen könnten, wenn sie ebenfalls fleißig genug wären und es genug wollen würden – wenn sie motiviert genug wären. (Was sie ihnen ebenfalls nicht nur zu gerne bestätigen, sondern einen latenten Hang dazu haben, es ihnen vorzuwerfen, dass sie nicht motiviert genug sind.)

Sehr viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Position dieser „Reichen und Mächtigen“, ihr Status und ihr finanzieller Reichtum, ein komplexes Geflecht aus Schicksal (Familie, nicht Fortuna), ihrem weiteren Umfeld bis hin zu Kultur und schlichtweg Glück ist. Ein wenig wie eine Lotterie, bei der wir allerdings kein Los kaufen können. Deshalb sollten wir auch im Umgang mit Menschen, die mehr Autorität oder Geld als wir haben, ganz besonders im Hinterkopf halten, dass sie sehr wahrscheinlich genauso faul sind wie wir. Sie spielen auch kein 5D-Schach mit Multiversums-Zeitreisen, eher Tic-Tac-Toe, so wie die meisten Menschen im Alltag.

Auch die meisten politischen und sozialen Bewegungen gehen auf die Entscheidungen von Menschen zurück, die mit unvollständigen Informationen und einer Reihe von ihnen unbekannten Voreingenommenheit und Vorurteilen aus ihrem System 1 heraus arbeiten. Nicht aufgrund düsterer Motiven eines Geheimbundes mächtiger Menschen, die die Weltherrschaft planen (fast schon leider, denn die könnten wir wenigstens dingfest machen), sondern als Summe vieler solcher Entscheidungen.

So wie die meisten unserer Familienmitglieder oder unsere Kolleg:innen fast immer unreflektiert und im Energiesparmodus durch ihre Leben stolpern. Genauso wie du und ich.

Vielleicht sollten wir damit aufhören, uns Gedanken über ihre Motivation zu machen. Oder die Abwesenheit davon? Eigentlich weiß niemand wirklich, was sie tun, und wahrscheinlich versuchen sie nur, die Dinge für sich auf kurze Sicht einfacher zu machen.

Und was ist mit deiner Motivation?


Interessanterweise haben die meisten Menschen, obwohl sie instinktiv zum faul sein neigen, die unsinnigsten Ausreden, um sich zu beschäftigen. Darüber hinaus fühlen sie sich glücklicher, wenn sie beschäftigt sind, selbst wenn ihnen diese Beschäftigung aufgezwungen wird. Wahrscheinlich sind die meisten Ziele, die wir verfolgen, kaum mehr als eine Rechtfertigung dafür, beschäftigt zu sein.

Das erinnert an die manische Abwehr: die Tendenz, bei unangenehmen Gedanken oder Gefühlen das Bewusstsein entweder mit einer Flut von Aktivitäten oder mit gegenteiligen Gedanken oder Gefühlen abzulenken. Was, so widersprüchlich das erscheinen mag, deutlich energiesparender ist, als im System 2 aktiv zu werden und den Aufwand zu betreiben, sich selbst in einem Augenblick der Ruhe mit derselben Sorgfalt zu betrachten wie das Menü in einem Restaurant beim ersten Date: Es vermeidet Stress.

Aber über was für Motivation reden wir hier eigentlich, was hat das mit Stress zu tun – und unserer Faulheit? Es ist wichtig zu verstehen, dass zwischen biologischen und psychosozialen Motiven unterschieden wird:

  • Biologische Motive werden hauptsächlich von den physiologischen Mechanismen des Körpers gesteuert. Bedürfnisse erzeugen einen Trieb, der das Verhalten stimuliert und zu bestimmten Handlungen führt, um bestimmte Ziele zu erreichen, um diesen zu Trieb verringern. Einige der grundlegenden biologischen Bedürfnisse, die durch diesen Ansatz erklärt werden, sind Nahrung und Sex, die für den Fortbestand unerlässlich sind.
  • Psychosoziale Motive sind komplexe Formen von Motiven, die sich hauptsächlich aus der Interaktion von Individuen mit ihrem sozialen Umfeld wie Familie, Nachbarschaft, Freund:innen und Verwandte ergeben, und werden meist erlernt oder erworben.

Realistisch können uns die psychosozialen Motive allerdings nur als eine Art Leitstern dienen, wie die langfristig und in Summe vielleicht nicht so clevere Idee, einer von diesen mächtigen und reichen Menschen werden zu wollen. Und wir neigen dazu, eben so eine Art von Motiv bei anderen Menschen zu suchen und ihnen zu unterstellen.

Entsprechend einer Bedürfnishierarchie können wir sie qualitativ allerdings nur verfolgen, wenn wir unseren biologischen Motiven häufig und dauerhaft genug nachgehen, die nun mal die Grundlage für unser aller Verhalten sind, und die es dadurch auch deutlich besser erklären. Allem voran, dass bei Dissonanzen, spätestens aber unter Stress, um eben Energie zu sparen, nicht mehr viel mit Ratio ist – die dann nur allzu oft den Emotionen geopfert wird.

Wir würden wahrscheinlich damit besser fahren zu akzeptieren, dass der Sinn des Lebens, zumindest biologisch gesehen, eben nicht Fortpflanzung ist. Der Sinn des Lebens ist das Vermeiden von Stress.

Und wie viel sich der menschlichen Komplexität daraus ableiten lässt, und auch, wo sie „ausgenutzt“ wird. Wie, dass sich fast alle „erfolgreichen“ Geschäftsmodelle deshalb auch nicht wirklich um Vereinfachung oder Bequemlichkeit drehen, sondern, in Einklang mit unserem „biologischen Imperativ“, um das Vermeiden von Stress: Ich lasse mir meinen Einkauf liefern, nicht, weil ich faul wäre (okay, ein wenig, okay, sehr), sondern weil ich eben keinen Bock auf den Stress habe. Einfaches bezahlen online ist nicht bequem, es ist stressfrei. Die kostenlose, problemlose Retoure beim großen Onlinehändler, der eigentlich ein Logistikdienstleister ist, und immer zu meiner Zufriedenheit läuft? Wer und was nicht noch alles, und da sind wir noch lange nicht bei zwischenmenschlichem oder individuellem Verhalten.

Es verbraucht auch eine ganze Zeit lang weniger Energie zu doomscrollen – und wir dafür auch noch mit Dopamin belohnt werden –, als sich dem Stress auszusetzen, politisch aktiv zu werden und sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen. Oder gegen hohe Energiekosten zu wettern und sich für Atomkraft auszusprechen, als nicht faul zu sein und (damit) in jeder Hinsicht in ein Morgen investieren zu können.

Wir alle streben ein stressfreies Leben an. Und wir sagen zwar, „damit wir dies und das tun können“, aber meist tun wir dann nichts, was irgendwie in die Nähe von System 2 kommen könnte. Denn eigentlich wollen wir stressfrei sein, um faul sein zu können.

Deshalb warten Menschen vergeblich auf Motivation, um endlich mit den Dingen anzufangen, von denen sie hoffen, dass sie uns nach vorne bringen: Die urzeitliche „Motivation“ tackert uns eher auf die Couch, als auf den Bürosessel. Und warum die Energie von Motivationsgurus auf dem Gruppenseminar nach zwei Tagen verflogen ist? Vielleicht sind wir motiviert, nur bleibt die Frage, „wofür?“

Was uns tatsächlich nach vorne bringt, braucht strategische Planung (oh, Hallo, System 2) und die Erkenntnis der Ironie des Lebens, dass das, was wir für diese benötigte Motivation halten, die ist, die kommt, nachdem wir angefangen haben. Und Erfolg, wie auch immer du den dann definieren magst, aus Disziplin und dem Zinseszinseffekt stammt, immer wieder ein klein wenig gemacht zu haben.

Oder aus einem anderen Blickwinkel:

„Das Gegenteil von Disziplin ist eigentlich Faulheit, und die ist oft mit Angst verbunden. Angst vor Verantwortung und Angst vor der Wahrheit. Verantwortung und Wahrheit sind notwendig, wenn wir auf den richtigen Weg kommen wollen.“

Seth Godin

Und Verantwortung und Wahrheit sind nicht nur anstrengend, sie sind Stress. Allerdings passieren uns all die schönen Dinge und Veränderung genau dort: in der Stress-Zone.

Menschen sind nunmal faul, und wir bekommen sie nicht ohne wirklich, wirklich massiven Aufwand geändert – und sie tun schon, was sie können. Du wirst dir die Haare ausreißen, wenn du ernsthaft versuchen solltest, diesen Weg zu beschreiten, das ist dir selbst gegenüber schon anstrengend genug. Und das ist der energiesparendste Grund, warum Veränderung nur bei dir anfangen kann.

Ansonsten bist du wirklich faul und willst nur Stress vermeiden.